Wir sind froh und glücklich, endlich die zweite, aktualisierte Auflage der Liberating Structures Design Cards vorstellen zu dürfen! Wer jetzt überhaupt nicht weiß, wovon die Rede ist: bitte weiterlesen! Wer ein Deck der ersten Auflage besitzt, darf gerne auf den Punkt Neuerungen schon mal spicken, aber vielleicht gibt es für euch auch hier im ersten Teil noch das eine oder interessante Detail zu entdecken.
Warum gibt es Design Cards eigentlich?

Als wir Liberating Structures kennen gelernt haben, waren wir noch nicht „flüssig“ im LS-Repertoire, d.h. wir hatten nicht immer sofort alle LS parat, schon gar nicht mit allen notwendigen Details. Trotzdem wollten wir schon früh unser Wissen teilen (und uns auch ein Stück weit ausprobieren). Dazu haben wir bereits 2015 die Liberating Structures User Group Hamburg gegründet, die mit knap 2300 Mitgliedys unseres Wissens nach immer noch die weltweit größte LSUG ist. Vor jeder User Group (die vor Corona ca. einmal im Monat statt fand) brauchten wir einen Plan, was wir an dem Abend denn so machen wollten. Ausprobieren ist ja gut und schön, aber es ist ja wie im richtigen Berufsleben mit Kunden: Rumstümpern ist nicht angesagt. Und bei schnell > 50 Teilnehmys fühlten wir auch eine gewisse Verantwortung, einen runden stimmigen Abend „abzuliefern“. Von Keith und Fisher, den Maestros aus Seattle, haben wir früh gelernt, dass zur Vorbereitung ein Design-Team Pflicht ist. Sich gegenseitig Ideen vorstellen, die wiederum in Zweier-Teams verfeinern, bis ein schlüssiges Gesamtkonzept entsteht: so wollten wir vorgehen. Das Problem nur: wenn vier Menschen (so groß war unser Design Team anfangs meist und übrigens einen ganz lieben Gruß an Bettina, Udo und Ingo an der Stelle, um mal die aktivsten Nicht-Holistikönnys zu würdigen) Ideen spinnen, fängt oft einer an, laut zu denken und schon sind wir im schönsten Groupthink, d.h. die Meinung aller wird durch die erste Äußerung massiv beeinflusst. Das ist ja so gar nicht LS. In der LS-Philosophie würde sich zunächst jeder alleine Gedanken machen, bis man sie erst in einer Kleingruppe schärft, um sie dann in der großen Gruppe abzustimmen (1-2-4-All lässt grüßen!). Also suchten wir etwas, wo man alleine im Repertoire spicken kann. Schnell stießen wir auf unseren sehr aktiven und supernetten Kollegen aus Belgien Frederic Vandaele, den wir schon von einigen Workshops kannten und der ein kleines Kartenspiel zum Ausdrucken gebastelt hatte. Das funktionierte super und die Designs haben richtig Spaß gemacht. Aber der Perfektionist in mir war natürlich mit den ausgedruckten Papierkarten nicht zufrieden, zumal sie nach mehrfacher Nutzung schnell unansehnlich wurden. Also dachte ich mir: ein Kartenspiel? Das kriegt man doch besser hin! So schnell die Idee geboren war, so lange dauerte es denn dann doch noch, bis sie fertig waren. Zunächst ein Design überlegen, alle relevanten Informationen auf einer Karte unterbringen (welche sind das eigentlich?) und dann sind es eben auch 33 LS plus 4 Karten, um den einen oder anderen Aspekt zu erläutern. Am Ende waren wir aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis und nutzen sie noch heute beinahe täglich. Die Kurzantwort auf die Eingangsfrage lautet also: Eigenbedarf!
Für wen sind sie gedacht?
Gedacht sind die Design Cards wie oben beschrieben zur Vorbereitung von Workshops. Noch einmal der dringende Rat: wenn irgend möglich, plant eure Workshops nicht alleine, sondern sucht euch ein Sparringspartny, am besten ein ganzes Design Team, je nach Größe des zu planenden Workshops.
Tatsächlich sind uns aber inzwischen mehrere andere Verwendungsarten zu Ohren gekommen: Z. B. als Gedächtnisstütze während des Workshops, also um die einzelnen Schritte quasi als Spickzettel parat zu haben, als Mittel der Visualisierung während des Workshops, um also den Teilnehmys eine Art Agenda zu bieten, oder schlicht und ergreifend als Give-away für Menschen mit Interesse an LS. Insbesondere, wenn man „mal eben schnell“ einem Kollegy LS erklären möchte, sind sie eine gute Hilfe.
Wie benutzt man sie am effektivsten?
Die Design Cards sind dazu gedacht, Strings zu erstellen. Ein String ist eine Abfolge von aneinandergereihten einzelnen Structures, idealerweise derart, dass der Output der einen Structure der Input der nächsten ist, dass man also kontinuierlich an einem Thema arbeitet und mit jeder Struktur einen bestimmten Aspekt der gesamten Fragestellung bearbeitet. Es gibt natürlich verschiedene Varianten, mit den Karten umzugehen, von denen ich hier einige vorstellen möchte:
Matchmaker-Farben oder -Fragen

Die Design Cards haben alle eine (oder zwei) von 6 Farben, die sie in verschiedene Kategorien einteilen.
- rot steht für den Austausch oder das Verteilen von Ideen, Know-how, Erfahrungen und Herausforderungen
- blau steht für das Aufdecken, Entdecken, Entwickeln oder Verbessern von Chancen, Hindernissen, Lösungen oder Ideen
- grün steht für das Analysieren, Diagnostizieren, Klären oder Nachbesprechen
- gelb steht für das Helfen, Hilfe bekommen oder Kooperieren
- violett steht für alles zum Thema Strategie
- orange steht für Planung
Je nachdem, welches Ziel in diesem Teil eines Workshops im Vordergrund steht, kann man anhand der Farbe der Karte schon eine gute Vorauswahl treffen. Wem diese Kategorisierungen zu grobgranular sind, kann gerne die Variante mit konkreten Fragestellungen von der Webseite verwenden, die 1:1 zu einer konkreten Struktur führen.
Kleiner Disclaimer an dieser Stelle: Unsere Erfahrung ist, dass die Strukturen viel universeller einsetzbar sind, als der Matchmaker es vorgibt. Deshalb nehmt den Matchmaker nur als Anhaltspunkt, aber nicht als Beschränkung.
Verfügbare Zeit
Ebenfalls im farbigen Feld der Karten ist die ungefähr benötigte Zeitdauer vermerkt. So könnt ihr schnell entscheiden, ob eine Struktur oder eine Kombination von mehreren Strukturen in euer Zeitfenster passt.
Vorgehen
Jedes Mitglied des Design Teams hat nun ein Kartendeck in der Hand und überlegt einen (Teil-)String, der gut zum Anlass passt. Anschließend werden die Strings auf dem Tisch ausgelegt und in der Gruppe diskutiert, gerne mit herumschieben, Karten austauschen und liebevoller Provokation. Ihr wisst nicht mehr genau, wie die Struktur funktioniert? Einfach die Karte umdrehen und die Details nachlesen! Wer es lieber etwas strukturierter mag: Design Storyboards ist genau für diesen Zweck gedacht.
Profi-Tipp
Wenn ihr an einer Stelle verschiedene Varianten im Kopf habt, legt einfach an der Verzweigungsstelle die Karten quer, wo die Alternativen beginnen, so könnt ihr prima über die unterschiedlichen Wege diskutieren.

Wo bekomme denn nun diese tollen Karten?
Wir sind immer noch in der Planung für einen eigenen Shop, bis dahin müssen wir leider auf Amazon verweisen (Link). Wer größere Mengen bestellen möchte, wendet sich gerne direkt an uns (mailto:liberating.structures@holisticon.de).
Gibt es die Karten auch virtuell?
Unsere Liberating-Structures-Design-Cards sind nun auf Deckhive, einem virtuellen, kollaborativen Kartentisch, verfügbar. Deckhive bietet eine ganze Reihe von Kartendecks aus den Bereichen Coaching, systemische Beratung oder Meetingkultur an, die gemeinsam mit mehreren Personen auf mehreren virtuellen Kartentischen verwendet werden können.
Hier findest du ein Video, wo wir Anwendungsbeispiele beschreiben und kurz etwas über Liberating Structures und das Kartendeck erzählen.
Neuerungen der zweiten Auflage
Mehrfache Ausfertigung einiger Karten
Einige der Strukturen sind Bausteine, die in verschiedenen Situationen eines Workshops sinnvoll sind. So kann man beispielsweise ein Impromptu Networking perfekt zu Beginn eines Workshops verwenden, um die Teilnehmys zu aktivieren und erste Gedanken zum Thema austauschen zu lassen, aber auch am Ende eines Workshops kann man die Struktur gut verwenden, um Learnings und abschließende Gedanken zu teilen und zu schärfen. Deshalb haben wir uns entschlossen, einige Karten mehrfach in das Set aufzunehmen, um schon beim Design alle Optionen zu haben. Ein Einzelnen sind dies:
- 1-2-4-All (viermal enthalten): der Standard, um in großen Gruppen alle zu beteiligen
- Impromptu Networking (zweimal enthalten): als Intro und Outro immer eine gute Wahl
- Open Space Technology (viermal enthalten): Open Spaces finden oft in mehreren Slots nacheinander statt, dies kann man nun auch im Design besser abbilden
- 15% Solutions (zweimal enthalten): nach einer Ideensammlung in die konkrete Handlungsplanung darf man gerne mehr als einmal gehen
Auswahl an neuen LS – Elf neue Freunde sollt ihr sein!
Im Newsletter stellen wir schon von Anfang an neue Strukturen vor, die wir oft und gerne verwenden und für uns deshalb schon zum Standard-Repertoire zählen. was liegt näher, als diese auch im neuen Kartendeck zu verewigen?
Im Einzelnen sind dies (wo verhanden, sind die Verlinkungen auf die Beschreibungen vorhanden, die anderen werden in den nächsten Newsletter-Ausgaben folgen):
- 4-2-1-Snap: schrittweise Vertiefung und Schärfung von Erkenntnissen, um dann die wichtigste für sich zu verinnerlichen
- Folding Spectogram: eine Variante von 1-2-4-All, bei der das Meinungsspektrum der Gruppe zu einem kontroversen Thema visualisiert wird
- Spiral Journal: hier kann man in ruhiger Selbstreflexion verschiedene Aspekte einer Herausforderung beleuchten
- Mad Tea Party: das spaßige Bewegungsspiel, das durch spontane Assoziationen Ideen generiert und Blockaden löst
- Network Patterning Cards: die Analyse der offiziellen, realen und gewünschten Organisationsstruktur
- Talking with Pixies: eine Variante von Troika Consulting, in der dir spielerisch ein Engelchen und ein Teufelchen ihre Positionen ins Ohr flüstern
- Anxiety Circus: eine Variante von 25/10 Crowd Sourcing, mit der die größten Ängste und Befürchtungen einer Gruppe herausgekitzelt werden können
- Future~Present: das fiktive Lagerfeuergespräch, warum bestimmte Dinge in der zukünftigen Vergangenheit erfolgreich waren
- Gallery Walk: eine Möglichkeit, im eigenen Tempo verschiedene Inhalte verdauen
- Positive Gossip: weg vom Lästern, hin zu positiven Geschichten über andere Menschen
- XxN-Writing: das selbstreflektierende Schärfen und Fokussieren von Gedanken entlang einer Abfolge von Fragen
- sowie eine neue Erklärkarte zu Punctuations und Co.
Schickere Schachtel (die jetzt auch noch besser passt!)
Nachdem wir uns vor einiger Zeit schon von den bösen Plastik-Schachteln verabschiedet haben, die auch gerne mal im Versand beschädigt wurden, nutzen wir Pappschachteln. Bei der neuen Auflage haben wir darauf geachtet, dass sie passgenau sind, d.h. nicht beim Versand oder in der Tasche eingedrückt werden. Das schicke neue Schwarz symbolisiert die Neuauflage gegenüber dem eher biederen Grau des ersten Auflage.
Carsten ist agiler Coach, Berater und Trainer bei der Holisticon AG in Hamburg. Von der Arbeit mit Einzelpersonen über Teams bis hin zu Organisationen liegt ihm viel am zielgerichteten Miteinander, das die Freude an und mit der Arbeit einschließt. Gerade hier sind Liberating Structures eine echte Bereicherung!